Herbarium Biebersteinia spp.
BOTANIK UND ETHNOMEDIZIN VON BIEBERSTEINIA
Biebersteinia ist die einzige Gattung in der Familie der
Biebersteiniaceae und umfasst nur 4 Arten, nämlich B. heterostemon, B.
multifida, B. odora und B. orphanidis. Die Gattung wurde nach dem deutschen
Botaniker Friedrich August Freiherr Marschall von Bieberstein benannt. Früher
inkludierte die Gattung 5 Arten, jedoch gilt B. leiosepala heute als Synonym
für B. multifida. Auch an anderen Orten ist angegeben, dass Biebersteinia
insgesamt 5 Arten enthält, forscht man aber etwas genauer nach, stellt sich
heraus, dass auch diese heute wohl nur als Synonyme der 4 anderen Arten gelten.
Alle Biebersteinia Arten sind mehrjährige krautige Pflanzen
und ihre geografische Verteilung erstreckt sich von Griechenland bis hin zu
Süd-West-Sibirien und West- und Zentral-China. (
Biebersteinia heterostemon („Xun Dao Niu“ in China) kommt
auf der Qinghai-Tibet-Hochebene vor und ist dort auch in der Traditionellen
Tibetischen Medizin bekannt. Diese Art bewohnt trockene und halb-trockene
gebirgige Wüsten, felsige Hänge und andere Umgebungen.
Biebersteinia multifida ist eine Pflanze, die in der
Volksmedizin im Iran allgemein als „Adamak“ bekannt ist.
Biebersteinia odora ist in Zentral-Asien zu finden (z.B.:
Kazakhstan, Kyrgyztan, Pakistan, Indien, China, Mongolei) und wächst dort auf
Almwiesen und in trockenen, felsigen und geröll-lastigen Gegenden.
Biebersteinia odora scheint lange gegen Fieber und Migraine von Menschen in der
Shigar Valley (Pakistan) genutzt worden zu sein (vgl. Zhang et al. 2020: 12).
Biebersteinia orphanidis ist die einzige Art, die in Europa
bzw. in Griechenland vorkommt – sie wächst gewöhnlicherweise in höheren
Regionen. Biebersteinia orphanidis galt lang in ihrem natürlichen Habitat in
Europa (Griechenland) als ausgestorben. Diese Art wurde vom griechischen
Botaniker Theodoros Georgios Orphanides 1851 erstmals beschrieben, welcher
diese Biebersteinia Art am Mt. Killini entdeckte. Nachfolgende Forscher suchten
diese Art vergebens, sie galt somit als ausgestorben. Erst 1994 wurde sie auf
einem Berg nahe des Mt. Killini in Griechenland wiederentdeckt (vgl.
Yannitsaros et al. 1996: 239f).
Von diesen 4 Arten haben Biebersteinia heterostemon und
Biebersteinia multifida eine lange Geschichte als Volksmedizin im Iran (B.
multifida) und in Tibet (B. heterostemon). Sie besitzen verschiedene
ethnomedizinische Eigenschaften, beispielsweise gelten sie als schmerzlindernd,
krampflösend, entzündungshemmend und anti-mikrobiell, angstlösend,
blutdrucksenkend etc. (vgl. Zhang et al. 2020: 2)
TRADITIONELLE TIBETISCHE MEDIZIN (TTM)
TTM weist eine über 2500 Jahre alte buddhistische Geschichte
auf. Sie begreift den Menschen als ein ganzheitliches Wesen, welches aus Körper,
Geist und Seele besteht, worauf die Therapien in der TTM abgestimmt sind. Die Ausbildung
zum tibetischen Arzt/Ärztin (Amchi/Amchila) kann bis zu 10 Jahre dauern. Der
wichtigste Text bzw. der systematische Leitfaden der Traditionellen Tibetischen
Medizin ist das rgyud bchi.
Die Diagnosemethoden der TTM umfassen:
- Betrachtung, wobei besonderes Augenmerk auf Zungen- und
Urindiagnostik gelegt wird
- Berührung, wozu insbesondere die Pulsdiagnostik zählt
- Befragung, wobei der tibetische Arzt/Ärztin (Amchi/Amchila)
Krankheitsursachen und Symptome feststellt
Zu den Therapiemassnahmen zählen:
- - Veränderung des Lebensstils
- - Veränderungen der Ernährung
- - Äussere Anwendungen, wie
Aderlass, Schröpfen, Moxibustion, Akupunktur, Massage
- - Anwendung von Naturheilmitteln
In der TTM sind über 1000 verschiedene Pflanzen für die
Herstellung von Arzneimitteln bekannt. Dabei werden die Heilpflanzen oft als
Kombinationspräparate verabreicht. Die Zusammensetzung der Heilpflanzen-Präparate
kann in 3 Kategorien unterteilt werden:
Die erste Kategorie umfasst Bestandteile, die für die
Hauptwirkung verantwortlich sind, die 2. Kategorie bezieht sich auf
Bestandteile, die die Hauptwirkung unterstützen und die 3. Kategorie umfasst Zugaben,
die eventuelle Nebenwirkungen neutralisieren sollen.
In der Traditionellen Tibetischen Medizin ist es üblich, die
pflanzlichen Arzneimischungen in Form von Pulvern mit heissem Wasser zu
verabreichen. Oft wird heute jedoch bevorzugt das Pulver zu Kügelchen/Pillen weiterverarbeitet.
Der Nachteil dabei ist, dass die Dosis nicht mehr individuell auf den/die PatientIn
abgestimmt werden kann, wie beim Pulver. Jedoch ist die Einnahme von Pillen,
aufgrund des häufig bitteren Geschmacks des Pulvers, einfacher. Das Pulver wird
dazu mit Fremdsubstanzen wie Wasser, Milch oder einem alkoholischen Auszug
angefeuchtet und zu Kügelchen geknetet. Oft kommen tibetische Heilpflanzen und
Präparate bei jeglicher Art von Erkrankung zum Einsatz.
Tibetische Arzneimischungen können unter anderem aus bis zu
50 Bestandteilen oder mehr bestehen., wobei Pflanzen, Mineralien und früher
auch tierische Wirkstoffe verwendet wurden. Über 500 alte Rezepturen sind heute
noch allgemein gebräuchlich.
(vgl. Berling-Aumann
2012: 49ff; Bin Saif et al. 2010; Frass et al. 2019).
BIEBERSTEINIA HETEROSTEMON UND MEDIZINISCH BEDEUTSAME
FLAVONOIDE
Biebersteinia heterostemon wurde in der Traditionellen Tibetischen Medizin gegen Krankheiten des Herz-Lungen-Systems und bei neuropsychiatrischen Krankheiten angewandt.
γ-Aminobutyric acid type A (GABA-A) Rezeptoren gehören mitunter zu den wichtigsten Rezeptoren im Zentralen Nervensystem und sind Hauptziele von Substanzen, die zur Behandlung von verschiedenen Krankheiten zu denen beispielsweise Krämpfe, Angstzustände, Schlaflosigkeit etc. zählen, dienen. Es ist bekannt, dass Benzodiazepin-Bindungsstellen, welche sich am GABA-A Rezeptor befinden ziemlich gut erforscht sind. Benzodiazepine kommen als Antikonvulsiva, Anxiolytika und Sedativa bzw. Hypnotika in der klinischen Behandlung zum Einsatz.
In letzter Zeit haben Flavonoide (enthalten normalerweise
zum Beispiel in grünem Tee oder in einigen Obstarten, etc.) und deren Wirkung
auf das Zentralnervensystem viel Aufmerksamkeit erlangt. Einige Flavonoide
zeigten antikonvulsive und anxiolytische Wirkungen, jedoch ohne die sedativen
und muskelrelaxierenden Effekte. Von daher scheinen Flavonoide interessante
Verbindungen und eine mögliche Alternative für Benzodiazepine in Bezug auf die
Suche und Entwicklung von Wirkstoffen mit antikonvulsiver (krampflösender) oder
anxiolytischer (angstlösender) Wirkung zu sein (vgl. Liu et al.2018: 1f).
6 Flavonoide wurden für eine Studie aus Biebersteinia
heterostemon isoliert und ihre Wirkung am GABA-A Rezeptor Komplex untersucht.
Zu den Flavonen, die die stärkste Affinität zur Benzodiazepin-Bindungsstelle
des GABA-A Rezeptor Komplexes aufwiesen, zählten:
-
Demethoxysudachitin (DMS)
-
Isothymusin
-
2‘, 4‘, 5,
7-tetrahydroxy-5‘, 6-dimethoxyflavon (DMF)
-
2‘, 4‘, 5,
8-tetrahydroxy-5‘, 6, 7-trimethoxyflavon
DMF wies knapp gefolgt von DMS die höchste Affinität zur
Benzodiazpin-Bindungsstelle auf (vgl. Liu et al. 2020: 8)
Nach der Verabreichung von DMF (krampflösend) bzw. DMS
(angstlösend) wurde keine signifikante Muskelentspannung oder Sedierung
beobachtet. Es wurde festgestellt, dass die angstlösende Wirkung von DMS bzw.
die krampflösende Wirkung von DMF mit Flumazenil (blockiert die Wirkung von Benzodiazepinen)
rückgängig gemacht werden konnte, woraus Liu et al. (2018) schliessen, dass
beim Wirkmechanismus vom DMF bzw. DMS Benzodiazpin-Bindestellen involviert sind
(vgl. Liu et al. 2020: 12).
Der Mangel an Nebenwirkungen dieser Flavonoide kann eventuell dem zugerechnet werden, dass sie an Bindungsstellen der GABA-A Rezeptoren binden, die womöglich von den klassischen Benzodiazepin-Bindestellen unabhängig sind, oder dass sie eventuell an noch unerforschten Bindungsstellen wirken (vgl. Liu et al. 2020: 3).
BIEBERSTEINIA MULTIFIDA, EINE ETHNOMEDIZINISCH INTERESSANTE
PFLANZE
Biebersteinia multifida ist eine Pflanze, die im Iran als
„Adamak“ bekannt ist. Die knollenartigen Wurzeln dieser Pflanze wurden in der
westlichen Region des Iran in der Volksmedizin oberflächlich für die Behandlung
von Entzündungen und Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems angewandt.
Innerlich kamen Pflanzenteile bei der Behandlung von mehrfachem nächtlichen
Harndrang bei Kindern und bei Phobien und Angstzuständen zum Einsatz (vgl.
Monsef-Esfahani et al. 2013: 1; Farsam et al. 2000: 443).
Forscher isolierten aus dem Extrakt der Wurzel 3
Verbindungen, die sie für die angstlösende Wirkung verantwortlich machten. Zu
diesen Coumarin-Derivaten zählen Umbelliferon, Scopoletin und Ferulasäure (vgl.
Monsef-Esfahani et al. 2013: 6). Sie erwähnen zwar, dass auch Flavonoide in
Biebersteinia multifida gefunden wurden, lassen diese aber bei ihrer Studie
ausser Acht.
Greenham et al. (2001) gehen davon aus, dass das Muster der
Flavonoid-Produktion in der Gattung Biebersteinia ähnlich sein könnte:
„Related work on B. heterostemon […] and our own preliminary investigation on
the flavonoids of B. odora suggest, that this pattern of flavonoid production
is common throughout this small genus.“ (Greenham et al. 2001: 90).
Der Wirkmechanismus, der der angstlösenden Wirkung von B.
multifida Wurzelextrakt zugrunde liegt, ist nicht vollständig bekannt. Man
vermutet unter anderem, die Coumarin-Derivate könnten mit der
Benzodiazepin-Bindungsstelle interagieren (vgl. Monsef-Esfahani et al.2013:7).
Darüber hinaus soll Biebersteinia multifida
schmerzlindernde, anti-mutagene und gastroprotektive Eigenschaften besitzen.
(vgl. Dabaghian et al. 2014; Raeesi et al. 2018).
Quellen:
- Berling-Aumann, Nadine. (2012). Tibetische Medizin:
Regionale Entwicklung, Anwendung und Wirkung von Heilpflanzen. Diplomica
Verlag GmbH
- Bin Saif, Bernhard et al. (2010). Tibetische
Medizin für den Westen. Springer Verlag: Wien.
- Frass Michael et al. Hrsg. (2019). Integrative Medizin. Springer
Verlag: Deutschland
- Dabaghian, Fataneh Hashem;
Maliheh Entezari, Ali Ghobadi and Mehrdad Hashemi. (2014).
Antimutagenicity and Anticancer Effects of Biebersteinia multifida DC. In:
Annual Research & Review in Biology
4(6): 906-913
- Farsam, Hassan; Massoud Amanlou, Ahmad Reza Dehpour,
Fereshteh Jahaniani. (2000). Anti-inflammatory and analgesic activity of
Biebersteinia multifida DC. root extract. In: Journal of Ethnopharmacology 71
(2000) 443–447
- Greenham, Jenny; Dionyssios D. Vassiliades, Jerey B.
Harborne, Christine A. Williams, John Eagles, ReneÂe J. Grayer, Nigel C.
Veitch. (2001). A distinctive Flavonoid chemistry for the anomalous genus
Biebersteinia. In: Phytochemistry 56 (2001) 87±91
- Liu, Zenggen; A. Kerstin Lindemeyer, Jing Liang, Martin
Wallnerc, Xuesi M. Shaoe, Yun Shaoa, Yanduo Taoa,b, Richard W. Olsen. (2018).
Flavonoids isolated from Tibetan medicines, binding to GABAA receptor and the
anticonvulsant activity. In: Phytomedicine 50 (2018) 1–7
- Liu, Zenggen; Joshua Silva, Amy S. Shao, Jing Liang,
Martin Wallner, Xuesi M. Shao, Mingzhu Li, Richard W. Olsen. (2020). Flavonoid
compounds isolated from Tibetan herbs, binding to GABAA receptor with anxiolytic
property. In: Journal of Ethnopharmacology
- Mahdi Raeesi, Narges Eskandari-Roozbahani, Tahoora
Shomali. (2019). Gastro-protective effect of Biebersteinia multifida root
hydro-methanolic extract in rats with ethanol-induced peptic ulcer. In:
Avicenna J Phytomed, 2019; 9(5): 410-418
- Monsef-Esfahani, Hamid Reza et al. (2013). Coumarin
compounds of Biebersteinia multifida roots show potential anxiolytic effects in
mice. In: DARU Journal of Pharmaceutical
Sciences 2013, 21:51
- YANNITSAROS, ARTEMIOS G.; THEOPHANIS A. CONSTANTINIDIS.
(1996). The rediscovery of Biebersteinia orphanidis Boiss. (Geraniaceae) in
Greece. In: BotanicalJournal of the Linnean Society (1996), 120: 239-242
- Zhang, Benyin; Xiaona Jin, Hengxia Yin, Dejun Zhang,
Huakun Zhou, Xiaofeng Zhang and Lam-Son Phan Tran. (2020). Natural Products,
Traditional Uses and Pharmacological Activities of the Genus Biebersteinia
(Biebersteiniaceae). In: Plants 2020, 9, 595
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